In Kleists Novelle 「Der Findling」 ist die außere Ahnlichkeit Nicolos mit dem langst verstorbenen Colino, dem Retter von Elvire, das Hauptmotiv des Werkes. Der vorliegende Aufsatz will dieses Motiv in der Verbindung zu den Begriffen von "Schein", "Reprasentation", "Zufalligkeit" und "Substitution" untersuchen, weil das mogliche Sinnsystem durch diese Faktors zerstort und dekonstruiert wird. Der Begriff "Schein" kann in zwei Bedeutung verwendet werden, zum Einen bezeichnet er 'Aussehen' oder Erscheinung, zum Anderen das Bild in Sinne eines Betrugs oder einer Tauschung. Damit steht "Schein" als eine fiktive Gestaltung der Wahrheit entgegen. Mit Reprasentation ist gemeint, daß ein Reprasentant stellvertretend fur etwas anderes (dem Reprasentandum) steht. Ausgangspunkt der Reprasentation ist, nach Baudrillard, das Prinzip der Aquivalenz zwischen Zeichen und Realem. Aber "Schein" stellt Negation der Reprasentation dar, keine Ubereinstimmung zwischen Signifikant und Signifikat. Der langst verstorbene junge Genueser Colino wird von Elvire ins Bild, das sie heimlich anbetet und als Substitut des Colinos identifiziert, gesetzt. Sie liebt und vergottert das Bild, als ware Colino in ihm anwesend. Das Bild ist zum 'Schein', nur zum Signum fur das Fiktive geworden. Falsche Reprasentation produziert Identitat anstatt Differenz. Die Ahnlichkeit zwischen dem von Elvire verehrten Bild und Nicolo erzeugt eine andere Identitat. Das Bild und Nicolo sind auch austauschbar. Wie die sechs Buchstaben von Nicolo in Colino vertauschbar sind, so ist auch die todliche Dynamik der Rollenvertauschung und Substitutionsstruktur als das erzahlstrategische Mittel der Novelle zu verstehen. Zunachst ist es Elvire, die Zeugin der Ubereinstimmung Nicolos mit Colino wird, als Nicolo in der zufalligen Kostumwahl des Retters in spater Nacht nach Hause kommt. Und als die kindlich unschuldige Klara und ihre Mutter Xaviera Tartini Colinos Bild betrachten, deuten sie die Ahnlichkeit als Identitat. Was ist Zufall? Man spricht von Zufall, wenn ein Ereignis nicht notwendig oder nicht beabsichtigt auftritt. Das Zufallige ist ein Grundloses, vollig Unbestimmbares. Der Zufall steht nicht unter dem Gesetz des Zusammenhanges von Grund und Folge. Aber zufallige Kosturnwahl, zufallige Ahnlichkeit, zufallige Vertauschung der sechs Buchstaben sind mehr als ein bloßer Zufall fur Nicolo und andere Personen im Werk. Der reine Zufall wird Notwendigkeit. Nicolo deutet Colinos Bild als seine Reprasentation, sein Substitut. Aber was Nicolo den Schlussel zu Verhalten Elvires zu verheißen scheint, versagt und tauscht. Unbewußt wird Nicolo der Opfer des Scheins, der falschen Reprasentation und des Zufalls. Aber nachdem er die Wahrheit erfahrt, inszeniert er absichtlich den Schein und die Reprasentation. Doch wird nie totale Gleichsetung, totale Ubereinstimmung erfullt. Xaviera eroffnet sogar, daß der Name Colino aus Colin zufallig hergestellt wurde. Das Buchstabenspiel ist nicht nur eine Verstellung, sondern sogar eine Verstellung der zufalligen Verstellung. Die Entschlusselung Nicolos war nicht tauglich. Finden die Leser die Entschlusselung des Geheimnisses uber die Ahnlichkeit zwischen Nicolo und Colino? Wie Nicolos Herkunft ratselhaft und unergrundlich ist, ist auch die seltsame Ubereinstimmung, die sich zwischen Colino und Nicolo fand, ein Ratsel. Dieser Zufall tauscht Sinnmoglichkeiten vor, und verweist auf die hermeneutische Lucke, die Unmoglichkeit eindeutiger Signifikation , indem die anderen Faktoren im Werk, wie 'Schein', 'Reprasentation' und Substitution, keinen totalen SinnZusammenhang, keine Sinn-Erschließung des Textes herstellen. Alle diese Faktoren, die die Struktur des Werkes vermitteln, zerstoren und dekonstruieren das Sinnsystem.