Unter den Nobelpreitragern aus den deutschsprachigen Landern ist Elfriede Jelinek hierzulande wohl die Unbekannteste. Die vorliegende Studie will fur die noch sehr junge Jelinek-Forschung in Korea einen kleinen Grundstein liefern, wobei sie sich auf das erste Theaterstuck der Dramatikerin konzentriert. Daß Jelineks Texte stets hochgradig intertextuell sind, ist ihren Lesern bekannt. Bekannt ist auch, daß ihr erstes Theaterstuck viele Bezuge zu Ibsens Dramen, vor allem zu ≫Ein Puppenheim≪, aufweist. Die Art und Weise aber, wie jelineks ≫Nora≪ sich konkret zu den Pratexten aus Norwegen verhalt, ist nirgends genugend erortert worden. Die Studie versucht gerade das: Sie will herausfinden, was nun uberhaupt geschah, als die weltberuhmte Figur von Ibsen die bose jelinek traf. Der ambitionierten Selbstverwirklicherin wird jegliche anmutig-wurdige Aura genommen. Nackte Tatsachen der kapitalistischen "Industriemannerwelt" werden, naturlich in ubertrieben haßlicher Gestalt, aufgetischt. Die Aussicht auf eine womoglich harmonisch-gleichberechtigte Parchenbildung, d. h. ein auf eine bessere Zukunft hin offenes Ende wird als bourgeoise Illusion verspottet. Aus Nora wird Lulu, die ehmalige brave Hausfrau verwandelt sich im Lauf der Geschehnisse in eine angeblich mannerverderbend-betorende femme fatale. Eine kuriose Verwandlung, die ubrigens die von den Mannern geschaffene Grenze zwischen Engel und Teufel, Heilige und Hure flussig macht und somit die Zweiteilung der Frau in geschlechtslose Hausfrau und pures Sexualwesen ad absurdum fuhrt. Unfahig, ihr eigenes Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, muß Nora am Ende den erniedrigenden Vorschlag Weygangs annehmen, mit einem Stoffladen als Abfindung vorliebzunehmen. Aller Emanzipationshoffnung bar, ernuchtert und verbittert wird Nora am Ende des Stucks wieder mit ihrem Mann vereint. Das erneut zusammenlebende Ehepaar Helmer verbringt seinen Alltag zankend, sich gegenseitig erniedrigend, kleinburgerlich- engstirnig, gar antisemitisch. Ibsens Drama liefert Jelinek die bekannten Muster, worauf sie dankbar zuruckgreifen kann, womit sie spielerisch, ohne Respekt und Gnade umgeht. Nicht nur wird der Pratext hohnisch zersetzt und absichtlich ungeschickt und auffallig falsch geflickt, sondern wird auch der mit dem Namen Nora verbundene Mythos der bourgeoisen Frauenemanzipation vollig zerstort. Von der einst unschuldig liebenden Hausfrau und Mutter, die sich nun endlich auf den Weg zur Selbstfindung machte, bleibt nichts ubrig als ein zwiespaltiges Wesen, einerseits radikale, mitunter ins Anarchische und Terroristische sich steigernde Schlagworte der Frauenemanzipation "daherleiernd", andererseits bereitwillig und kindisch der Geldmacht der Kapitalisten sich ausliefernd. Nicht nur im Titel, in den Figuren, in den Kosenamen, im Tanz-Motiv macht jelinek den Bezug auf den Pratext kenntlich, sondern auch in den Zitaten, die sie zwar in einen falschen Kontext einsetzt und den falschen Personen in den Mund legt, aber fast wortlich ubernimmt. Durch ein gemischtes Weiter-, Um- und Gegenschreiben entsteht ein interessantes, spannungsvolles Zusammenspiel beider Texte, das den verstorten Leser nicht bei einer einfachen Rezeption stehen laßt, sondern zu distanzierteren Reflexionen fuhrt. Das Nora-Stuck Jelineks zeigt außerdem die Montage-Technik, die intendierte, polemische Schwarzweißmalerei und das "antidramatische" Verhalten der Dramatikerin exemplarisch. Jelinek will namlich keine naturlichen Personen und Ereignisse auf die Buhne bringen, sondern mit leblosen Stereotypen dem bitterbosen, aber realen Tatbestand deutliche Kontur geben.