Bekanntlich wird das Barock oft als das erotische Zeitalter bezeichnet, in dem der Korper sowohl in der Literatur als auch in der bildenden Kunst eine ungewohnliche Position einnimmt: Anders als im Mittelalter, wo der weibliche Korper als die Quelle der Sunde und Bosheit, und anders als in der Renaissance, wo er als ein Maßstab der Welterkenntnis angesehen wurde, erscheint der Korper in der Zeit des Barock sehr kunstlich-erotisch und wird auch mit den verschiedensten rhetorischen Figuren verziert. Das Hauptinteresse dieser Studie liegt vor allem darin, die Struktur der Begierde in der barocken Galantlyrik zu analysieren, denn die Begierde nach dem weiblichen Korper gilt als ein Schlussel, der zur Aufschließung der Grundstruktur jener Texte dienen kann. Was bedeutet also die Galanterie, die die Galantlyrik des Spatbarock mit Nachdruck manifestiert und verkorpert? Wenn die Dichter der galanten Lyrik von ‘LiebesSachen’ reden, haben sie die religiose, mutterliche Liebe nicht im Sinne, auch keine romantische, pathetische Liebe, sondern eher die “Galanterie der Wollust”. Was sie anstreben, ist in dieser Hinsicht keine ewige, transzendente, unendliche Liebe, sondern eher Materiales, Sichtbares, Anatomisches, also die außere Schonheit. Sie hatten dabei die modische Versifikationskunst des Petrarkismus und Marinismus zur Verfugung, und produzierten zahlreiche Modeworte wie ‘freuden=nacht’, ‘wollust=keller’, ‘schwanen=brust’, ‘marmel=glieder’ etc. Die Dichter der galanten Lyrik zahlen die weiblichen Korperteile wie Haar, Mund, Zunge, Brust, Wange, Arm, Bein etc. auf und zieren sie mit ungewohnlich vielen rhetorischen Figuren wie Metapher, Metonomie, Vergleich, Kontrast, Allegorie u. a.. Das lyrische Ich wunscht sich, durch deren Aufzahlung den Korper der Geliebten zu erobern. Dennoch gelingt die Einigung mit der geliebten Frau nicht, weil das lyrische Ich annimmt, dass das Schicksal die Trennung von ihr vorbestimmt hat. Diese zweiteilige Gedichtstruktur der Galantlyrik hat ihren Ursprung im petrarkisischen Sonett und entspricht der inhaltlichen Zweiteilung: heiße Begierde und deren unvermeidlicher Verzicht am Ende. Im Grund darf man aber nicht ubersehen, dass sich hinter der sexuellen Begierde, die aber wohl ihrem Wesen nach nie erfullt wird, die Furcht vor der Leiche versteckt. Paradoxerweise ruft die Angst vor den Leichen, die durch den Dreißigjahrigen Krieg mit Seuchen und Hunger seinerzeit allgegenwartig waren, den Galantlyrikern die Imagination der Erotik bei. Die imaginare, spielerische Erotik, die in den verschiedensten Texten so oft variiert und sich gegenseitig zitiert, spielt aber eine unubersehbare Rolle, den vorherrschenden Pessimismus seiner Zeit zu uberwinden. Im weiteren Sinne versteckt sich hinter dieser illusionaren, verbalen Erotik der Topos des Welttheaters (Theatrum mundi), der fur die Welterkenntinis der Barockzeit von grundsatzlicher Bedeutung ist. So erweist sich der weibliche Korper in der Galantlyrik als ein Trager, der den vorherrschenden Pessimismus, die Todesangst sowie die Zerstorungslust der damaligen Gesellschaft verdrangt und den Erotismus zu einem neuen kulturellen Projekt erhoht.