Die vorliegende Arbeit versucht, den Vater-Sohn-Konflikt im Expressionismus anhand von Franz Werfels Gedicht Vater und Sohn, Walter Hasenclevers Drama Der Sohn und Kafkas Erzahlung Das Urteil zu beleuchten. In der Zeit des Expressionismus wird der Vater-Sohn-Konflikt zu einem zentralen Thema. Als Mitglied der burgerlichen Gesellschaft steht der Vater stellvertretend fur Familie, Gesellschaft und Staat. Er wird durch seinen Zwang zu einer strengen Erziehung zum Reprasentanten eines gesellschaftlichen Unterdruckungssystems. Damit geht die Rebellion der jungen Expressionisten gegen ihre Vater uber in einen Aufstand gegen die gesamte Vatergeneration.
In Werfels Gedicht Vater und Sohn wird die mythische Figur Uranos unter dem Aspekt des Vater-Sohn-Gegensatzes herangezogen. Der Name Uranos steht exemplarisch fur den Anfang des immer wiederkehrenden Konfliktes zwischen Vater und Sohn. Obwohl sie beide von der Versohnung und einer harmonischen Gemeinsamkeit traumen, erscheint dies in der Realitat nicht verwirklichbar und bleibt eine Utopie.
In Hasenclevers Drama Der Sohn erscheint der Vater als Tyrann und Ordnungshuter des Staates. Er ubernimmt die absolute Kontrolle uber seinen Sohn und behindert dessen kunstlerische Entwicklung und Selbstverwirklichung. Der Freund des Sohnes treibt diesen an, aus Hass und Sehnsucht nach Befreiung von autoritaren Zwangen den Mord am Vater zu wagen. Der Sohn sieht den Mord als gerechtfertigt an, versteht ihn als Rache fur das, was der Vater ihm angetan hat. Der Sohn revoltiert gegen seinen Vater als Vorkampfer aller Sohne. Damit erhalt er die Funktion der neuen Generation rebellierender junger Manner gegen die alte Generation autoritarer alter Manner der wilhelminischen Gesellschaft.
Der Vater-Sohn-Konflikt als gultiges Thema im Expressionismus taucht auch in Kafkas Erzahlung Das Urteil, die in dieser Zeit geschrieben wurde, auf. In dem Werk steht der Vater, der seinen Sohn zu Tode verurteilt, als Modell fur einen unmenschlichen Vater. Die Beziehung zwischen Vater und Sohn gerat hier vor allem im Zusammenhang mit dem Freund des Sohnes in Rußland, der sich als Alter Ego des Sohnes interpretieren laßt, aus den Fugen. Der junge Sohn Georg Bendemann genießt geschaftlichen Erfolg und soziale Anerkennung, wahrend sein Freund im fremden Land ein einsames und schweres Leben fuhrt. Der Umstand, dass in Kafkas Werk der Sohn, den sich Hermann Kafka als realer Vater Franz Kafkas sein Leben lang wunschte, stirbt, wahrend sein Freund, der auffallend an den schreibenden Kafka erinnert, weiterlebt, lasst durchaus die Vermutung zu, dass sich Kafka durch sein literarisches Werk an seinem realen autoritaren Vater rachen wollte. Dabei scheint der Tod des Sohnes Georg Bendemanns die Unrealisierbarkeit der Versohnung der jungen Expressionisten mit ihren Vatern zu bestatigen.