In dieser Arbeit wird versucht, Sonke Wortmanns erfolgreichen Fußballfilm Das Wunder von Bern (2003) aus der Perspektive der kollektiven Identitat zu analysieren. In dem Film wird die Geschichte von Deutschlands unerwartetem Sieg bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 in Bern erzahlt. Das als ‘Wunder von Bern’ genannte Ereignis wird oft als ‘echte Geburtsstunde’ Deutschlands gewertet, weil die Deutschen durch diesen Sieg zum ersten Mal nach dem Krieg wieder zu großem Selbstbewusstsein gelangten. Gleichzeitig verwandelt sich das Nationale, das nach dem Nationalsozialimus und Krieg von den meisten Deutschen verdrangt wurde, in etwas Positives in Form eines wiederhergestellten Ichideals der Deutschen.
In Wortmanns Fim wird die Bedeutung des Wunders von Bern gerade in der Art und Weise dargestellt, dass die Nation als der alle Interessenkonflikte und Generationen ubergreifende Mythos hervortritt. Eine starke Verbindung von Sport und Nation ist zu beobachten. Erzahlt werden drei zunachst lose verbundenen Handlungsstrange, also die Geschichte eines Kriegsheimkehrers und seiner Familie, die Erlebnisse eines Sportkorrespondenten mit seiner Frau und der steinige Weg der deutschen Mannschaft vom Training zum Endspiel, um in einem emotionsreichen Finale miteinander verknupft zu werden. Der Film beschreibt vor allem die Schwierigkeiten eines heimgekehrten Kriegsgefangenen, der noch nicht in der Gegenwart des neuen Deutschland angekommen ist, parallel zum deutschen Fuußballerfolg aber seinem Sohn und seiner Familie wieder naherkommt. Im Wankdorfstadion in Bern verwandelt sich der Ball beim Endspiel zum kollektiven Objekt, das die Versohnung der Konflikte zwischen Generationen und Schichten suggeriert. Alle beteiligen sich an dem kolletiven Sieg Deutschlands und dem dadurch erzeugten ‘Wir’-Gefuhl. Als Motor des Zusammenschlusses im neuen deutschen Kollektiv wird das Gegenideal der besiegten Nation gestiftet, das sich im verwandelten Richard und dem neuen Fuhrungsstil Herbergers symbolisch zeigt.
Durch die Verbindung von Fussballtriumpf und Familiengeschichte evoziert der Film eine Massenphantasie, die eine Identifizierung mit der Nation offeriert, welche das Verhaltnis von Bruch und Kontinuitat nivelliert. Die Stilisierung des Sieges der WM zum kollektiven Objekt setzt einen konfliktfreien Ursprung der generativen Abfolge und weist sich damit zugleich selbst als Mythos aus. Auf diese Weise simuliert der Film die ‘Katharsis der Nation’ und schreibt die Fortsetzung eines nationalen Mythos weiter, was die Beschaftigung mit der Bearbeitung der Vergangenheit im Sinne des neuen Nationalismus bedeuten kann.