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Im 1909 erschienenen Roman Die andere Seite stellt Alfred Kubin eine dustere, mysteriose Welt dar, die von einem allmachtigen Fuhrer, Patera, regiert wird. In dieser Welt, die "Traumreich" genannt wird, gehoren unheimliche und ubernaturliche Geschehnisse zum alltaglichen: Alle Bewohner fallen plotzlich in einen sechs Tage dauernden Schlaf, wilde Tiere erobern die Hauptstadt des Traumreichs, zahlreiche Doppelganger der Bewohner treten auf, Hauser, Mobel, Kleidung, Kunstwerke - also alles, was von Menschen geschaffen wurde, zerbrockelt plotzlich und bricht vollstandig zusammen, bis das "Traurnreich" schließlich zugrunde geht u.s.w.
Diese seltsame Geschichte, die auf den ersten Blick keine eindeutige Interpretation zu erlauben scheint, wurde in verschiedenen, besonders psychoanalytischen und politischen Kontexten interpretiert. Uberzeugender scheint aber eine Interpretation, die den Roman als "eines der Hauptwerke der literarischen Decadence'' versteht. Unter dieser Perspektive wird das "Traumreich" als eine Darstellung der abendlandischen, gerade zugrunde gehenden kultivierten Welt, also als eine Projektion der pessimistischen WeItsicht der vorletzten Jahrhundertwende gesehen.
Wenn man Die andere Seite als eine Darstellung der dekadenten Welt der Jahrhundertwende versteht, wird die Erzahlstrategie Kubins klar. Die andere Seite ist namlich - genau wie seine fruhen zeichnerischen Werke - eine Darstellung der Wirklichkeit, die auf einer außerst subjektiven Erkenntnis der Welt basiert. Im Zuge der Distanzierung von der objektiven Darstellungsweise a la Naturalismus, d.h. im Zuge der Subjektivierung der Wirklichkeit in ihrer literarischen Gestaltung um die Jahrhundertwende, versucht auch Kubin das Wesen der Welt so subjektivierend und ubertreibend darzustellen, dass die dargestellte Welt ubernaturliche Form gewinnt. Dadurch entsteht auch die einzigartige Phantasik des Romans, deren Besonderheit darin liegt, dass anders als in der traditionellen phantastischen Literatur das Ubernaturliche in der dargestellten Welt nicht in Konflikt mit der Wirklichkeit gerat, also die rein phantastische Welt, das Traumreich, als ein fester Bestandteil der realen Welt geschildert wird.
Diese Form der literarischen Phantastik, die den Rahmen der traditionellen phantastischen Literatur sprengt, ist am Anfang des 20. Jahrhunderts nicht nur bei Kubin zu beobachten. Auch Kafkas Die Verwandlung etwa, die Tzvetan Todorov in seiner Einfuhrung in die fantastische Literatur als eine merkwurdige Ausnahme der phantastischen Literatur bezeichnet, Gustav Meyrinks Der Golem, oder Alraune von Hans Heinz Ewers zeigen das Ubernaturliche, das konfliktlos ein Teil der realen Welt geworden ist. Diese Art der Phantastik bildet dann die Grundlage fur die heutige phantastische Literatur, in der das Ubernaturliche oft als Alltagliches erscheint.