Die vorliegende Arbeit, die sich mit Franz Werfels Drama Jacobowsky und der Oberst beschaftigt, will die These unterstutzen, dass das Drama, obwohl es im Exil entstanden ist und das Exil-Dasein zum Gegenstand nimmt, dem Nationalsozialismus kaum Widerstand leistet. Diese Aufgabe gibt zuerst Veranlassung, das Werk im Kontext der gesamten Schriften Werfels, besonders in bezug auf seine theologischen Anschauungen, zu untersuchen. Es ist in der gesamten Handlung des Dramas deutlich, dass Werfel in Jacobowsky eine religiose Wahrheit zu offenbaren versucht. Im Hinblick auf die merkwurdige Privattheologie Franz Werfels, insbesondere auf sein Verstandnis des Verhaltnisses zwischen Judentum und Christentum, besteht kein Zweifel, dass die zwei Hauptfiguren, Jacobowsky und Stjerbinsky, bei aller Alltaglichkeit der Darstellung auf einer anderen Ebene das Verhaltnis von Judentum und Christentum allegorisieren sollen. Besonders auffallig ist der Gegensatz zwischen den beiden Figuren. Sie sind in jeder Hinsicht als ein Gegensatzpaar charakterisiert. Der Doppelcharakter von Werfels zwischen Judentum und Christentum schwakendem Glauben ist wohlbekannt. Als “ein christusglaubiger Jude” ist er bestimmt nicht einem orthodoxen Judentum zugehorig. Auf der anderen Seite verharrte er lebenslang in seinem Judentum und ließ sich nicht taufen. Tatsache ist, dass Werfel das Christentum akzeptierte, ohne deswegen sein Judentum aufzugeben. Dieser Dualismus beherrscht auch Werfels Gedanken in bezug auf das Verhaltnis zwischen Judentum und Christentum. Einerseits glaubte er an eine gegenseitige Abhangigkeit und Verbundenheit zwischen Christentum und Judentum. Andererseits hielt Werfel es fur notwendig, dass die zwei Religionen bis zum Zeitende voneinander getrennt bleiben. Nach Werfel sollten die Juden die Erlosungstat von Christus dadurch ermoglichen, dass sie als Widersacher des Christentums durch ihr Leiden die Wahrheit des christlichen Glaubens bezeugen. Der Widerspruch in Werfels Anschauung liegt also darin, dass er die Inkarnation Gottes in seinem Sohn Christus als Wahrheit akzeptiert und zugleich die Verleugnung der Inkarnation durch das Judentum fur notwendig halt. Inwieweit spiegelt dann das Drama Jacobowsky und der Oberst diese Anschauungen Werfels wider? Beim Versuch der Beantwortung dieser Frage beobachtet man gegen Ende des Stuckes eine seltsame Spannung zwischen der realistischen und der metaphysischen Ebene. Auf der realistischen Ebene manifestiert sich, die Gattungsanforderungen der Komodie erfullend, eine befriedigende Losung, namlich die Versohnung der zwei Gegensatze, Jacobowsky und Stjerbinsky. Jacobowsky und Stjerbinsky gleichen sich allmahlich aneinander an und erweisen sich am Ende des Dramas als ein Erganzungspaar. Auf der metaphysischen Ebene erreicht die Dialektik dieser zwei geistigen Antithesen jedoch keine Synthese. So bestatigt Stjerbinsky: “Unser Duell ist nur aufgeschoben...”. Darauf sagt Jacobowsky: “Unser Duell ist ewig...”. Dieser Missklang zwischen der realistischen und der metaphysischen Ebene entspricht dem Widerspruch in Werfels Uberzeugung, dass die zwei Gleubensrichtungen “im Unendlichen” ineinander aufgehen aber bis dahin voneinander getrennt bleiben sollten. Weder in seinen theologischen Anschauungen noch in diesem Drama hat Werfel eine Schlussthese verfechten wollen, sondern er betont die dialektische Beziehung der zwei Religionen. Die judische Verleugnung der Inkarnation, die nach Werfel fur Gottes Heilsplan notwendig ist, ist gerade der Ursprung der jahrhunderlangen christlichen Judenfeindschaft. Hieraus ergibt sich, dass die theologischen Anschauungen Werfels auf Umwegen die Geschichte der fortwahrenden Verfolgung des Judentums rechtfertigen konnen. Werfels Uberzeugung, dass die Juden leiden mussen, bis alle Menschen erlost werden, bestatigt sich auch in Jacobowsky. Obwohl Jacobowsky einerseits die Gleichgultigkeit der “Englander und Amerikaner und Franzosen und Russen” gegen Hitlers Judenverfolgung kritisiert, bejaht und wiederholt Jacobowsky andererseits den Gedankengang des Autors: “Die Jacobowskys sollen ausgerottet werden unter dem offenen oder versteckten Beifall der Welt!... Gott straft uns”. Werfels Akzeptierung der religiosen Notwendigkeit der Judenverfolgung ließ ihn sich berechtigt fuhlen, aus dem Stoff des judischen Schicksals eine Komodie zu schaffen. Jacobowsky kommt trotz aller Bedrangnisse schließlich mit allem zurecht. Dass das nicht der Fall der meisten Juden der Hitler-Zeit war, ist selbstverstandlich. Daher kann Werfel dem Vorwurf nicht vollig entgehen, das Schicksal des judischen Volks in seinem Drama zu rosig dargestellt zu haben. Werfels Unfahigkeit, den Antisemitismus offen anzugreifen und somit ein aktiv antinationalsozialistisches Werk zu schaffen, lasst sich durch seine religiosen Anschauungen erklaren.