Wu Changshuo 0844-1927) gilt als einer der einflußreichsten Kunstler in des 'modernen Jahrhunderts'. Als der bedeutendste Maler der Shanghai-Schule verknupfte Wu Changshuo die chinesische traditionelle Literatenmalerei mit moderner Malerei und brachte wesentliche Neuerungen in der chinesischen Kunst. Bis 1894, als er aufgrund seines Gesundheitszustandes auf die kraftaufwenelige Siegelschnitzerei fast ganz verzichten mußte, war die Malerei jedoch nur ein kleiner Bestandteil seiner gesamten kunstlerischen Aktivitat. Sein Interesse galt vielmehr dem Studium eier Kalligraphie und vor allem der Siegelschneidekunst. Ein bedeutsamer Aspekt fur seine Siegelscheincle - und Schriftkunst sowie seine Malerei ist sein Interesse an altettumlichen Bronzen - und Steleninschriften. Dabei boten seine grundlichen Studien der jinsbixue und kaozhengxue, die er bei den fuhrenden Literaten wie Yu Yue und Yang Xian in Suzhou und Hangzhou gelernt hatte, eine wichtige Grundlage. Fur seine Schriftkunst konzentrierte er sich besonders auf Steintrornrnelinschrilten. In diesem 'rustikalen und urtumlichen' Schritttyp fand Wu seine eigene Asthetik, spater entwickelte er daraus seine charakteristische Pinselfuhrung, welche seine Malerei und Kalligraphie verbindet. In diesem Aufsatz werden das Leben und die Kunst Wu Changshuos in drei Phasen eingeteilt. Die erste Phase dauerte bis 1884. In dieser Phase stellte er traditionelle Sujets wie Pflaumen, Chrysanthemen, Orchis, Insbesondere geht die Pflaumenmalerei dieser Phase mit seiner Kalligraphie eine enge Verbindung ein. Die Pinselstriche zeigen einen sanften Rhythmus, der mit der Aufschrift auf dem jeweiligen Bild einhergeht. Die Sujets dieser Phase strahlen eine ruhevolle und lyrische Eleganz aus. Die zweite Phase dauerte von 1884 bis 1903. Zum Einen hat Wu Changshuo seine eigene kalligraphische Pinselfuhrung weiter entwickelt. Der Anderung seines Sduiftstils entspechend, wurde der Pinselduktus seiner Malerei noch kraftiger und kantiger. Andererseits nahm er Einflusse verschiedener Maler wie z. B. des exzentrischen Meisters Xu Wei, Chen Shuns, Zhu Das auf. Der Anteil der Bilder am Gesamtwerk stieg in dieser phase allmahlich, die Motive wurden noch vielfaltiger. Von dieser Phase an andert sich seine Malweise auffallend. Wu Changshuo verdankt einen großen Teil seiner kunstlerischen Entwicklung in dieser Phase Ren Bonian. Besonders intensiv war dessen Einfluß auf die Malerei Wu Changshuos zwischen 1893 und 1895. Statt der kalligraphischen Manier strahlen die Bilder dieser Phase eine malerische Schonheit aus. Fur die Aste verwendete Wu Changshuo dicke, manchmal ubertrieben deurliche Strukturlinien in schrager Pinselfuhrung. Die dritte Phase erstreckt sich von 1903 bis 1927. Der stilistische Einfluß zeitgenossischer Maler, an die Wu Changshuo in der zweiten Schaffensphase seiner Malerei anzuknupfen began, dringt noch tiefer in der dritten Phase durch. In dieser dritten Phase treten die Einflusse verschiedener Shanghaier Maler, wie Zhang Xiong, Zhou Han, Zhao Zhiqian und Pu Hua auf. In seinem Themenkreis dominieren nun neue Pflanzen und Fruchte wie Pfingstrosen, Weintrauben, Glyzinien, oft in Verbindung mit kleinen Zaunen, Steinen und Felsblocken, bluhende oder Fruchte tragende Pfirsiche, Kurbisse, Mais, Auberginen, die die Shanghaier Maler haufig dargestellt haben. Besonders pragend in dieser Phase war Zhao Zhiqian, Im Vergleich zu seinen fruheren Werken zeigen die Bilder Wus ein noch weitergehendes Interesse an dessen Komposition und Farbgebung. Die Bilder zeigen ein typisches Stilmiuel Zhao Zhiqians, namlich krasse Randbeschneidurigen. Seine beruhmten grungelben und blaugrunen Tone mit einem Hauch von Grau, die es in der chinesischen Malerei bisher nicht gegeben haue, entwickelte Wu in dieser Phase, Sie werden spater von seinen Schulern nachgeahmt und modifiziert. Seinen personlichen Malstil entwickelte Wu Changshuo in der Phase zwischen 1913 und 1927. Diese Periode war sowohl fur seine Malerei als auch fur seine Schriftund Siegelschneidekunst die hochste Reifezeit, Die langjahrige Erfahrung im Siegelschneiden und in der Kalligraphie vereinte sich in seiner Malerei dieser Phase zu einem neuen Erscheinungsbild. Erstens teilen die bemerkenswert geraden Aste und Zweige, die ihre Blatter allesamt nur nach einer Richtung, entweder nach rechts oder links strecken, die Bildflache. Dadurch entstehen mehrere drei-oder viereckige Raumzellen. Die Bildfladle ist ausgefullt, ohne daß Uberflussiges eingesetzt wurde. Eine solche Verschachtelung und Abkapselung des Bildraums durch die Verzweigung der Pflanzenaste erinnert an seine von Messerschnitten geteilten Siegelflachen. Die zweite Merkmal ist die bewußt kontrollierte, scheinbare Ungeschicklichkeit seiner kraftvollen, ungestumen Pinselstriche. Sie sind wenig rnodulliert, ihre Ansatze sind abgerundet, ihre Absatze sind oft kantig. Die Pinselstriche sind so trocken und muh, daß die Tuschespur wie ein Holzkohlestrich erscheint, Die Umrisse einzelner Pinselstriche sind uneben, sprode, rissig, die Tonalitat der Tusche ist vielseitig. Der stark abgenutzte Pinsel entbehrt bei den Pinselstrichen die fullige, rhythmisch variierende, kalligraphische Schonheit, Die oben genannten Eigenschaften seiner Pinselfuhrung nannte Wu Changshuo 'Steintrommelinschliften-Pinselfuhrung'. Dieselben Eigenheiten findet man in seiner Siegelschneidekunst. Die Messerspuren zeigen wie seine Pinselstriche eine altertumliche, spontane Belebtheit, sie sind kraftvoll und konzentriert, Die bald einander beruhrenden, bald voneinander weichenden Umrisse der Messerspuren ahneln dem krausen, durchlassigen Pinselduktus bei den Bildem in seiner letzten Phase. So ließ die langjahrige Erfahrung mit dem Graviermesser die Pinselstriche wie geritzte Linien wirken. Die Komposition, Pinselfuhrung und Farbgebung in der Malerei Wu Changshuos richtet sich auf ein Ziel: die harmonische Verkettung der Malerei mit der Kalligraphie und der Siegelschneidekunst Fur Wu Changshuo war elie Malerei eine Art Erweiterung von Kalligraphie und Siegelschneidekunst. Ihre malerische Asthetik leitet sich aus der Interaktion und Spannung zwischen diesen drei Kunstgattungen ab. Seine lebenslang ununterbrochenen ubungen mit dem Messer und dem Pinsel ermoglichten, daß er beim Malen seinen Pinsel wie ein Messer, und beim Siegelschneiden sein Messer wie einen Pinsel benutzen konnte. Die Pinselfuhrung bei seiner Malerei entwickelte sich parallel zu seiner Schriftkunst. Wie Wu Changshuo sich selbst geaußert hat, war die Anwendung der Pinselmethode seiner Siegelschuft - vor allem seiner Steintrommelinschrift - auf seine Malerei eine grundsatzliche Voraussetzung fur seine Malerei. Walll-end die Anlehnung seiner Malerei an seine Schriftkunst bewußt und absichtlich war, war der Einfluß seiner Siegelschneidekunst subtil und weniger bewußt. Dennoch weisen der aufgerissene Umriß der Pinselstriche. die an eine Siegelflache erinnernde Anordnung der Bildgegenstande und die Einteilung der Blldflache ohne Zweifel auf elen Einfluß seiner langjahrigen Erfahrung mit Messer und Stein hin. Eine solche Eigenschaft besitzt kein einziger Maler in der bisherigen chinesischen Malerei. In China wurde Wus Malstil durch seine Schuler wie Wang Geyi, Pan Tianshou, Zhu Lesan und Wang Yun tradiert. Bedeutende modeme chinesische Maler wie Qi Baishi und Cheng Hengke lernten seinen Malstil autodidaktisch, durch sie wurde seine Malweise bis heute kontinuierlich weitergefuhrt. Berucksichtigt man die politisch und kulturell sturmischen Wandlungen seiner Zeit, scheint Wu Changshuos ruhiges Leben zu undramatisch und anachronistisch. Kunstlerisch gesehen stand sein Leben jedoch keinen Moment still. Anders als die meisten Kunstler, die fruh ihre Blutezeit erreichten und danach einen kunstlerischen Stillstand erlebten, wandelte er sich ununterbrochen vom Siegelschneider zum Kalligraphen, vom Kalligraphen zum Maler. Sein Wissensdrang machte Wu Changshuo nicht nur zu einem einfachen Kunstler, sondern zu einem Experten der Altphilologie und Graphologie. In seiner Malerei vereinte er sein kunstlerisches Konnen als Maler, Kalligraph und Siegelschneider, und entwickelte eine unnachahmliche Malasthetik, welche aus seinen umfangreichen archaologischen Kenntnissen entstand. Die Charakteristika, die Wu fur seine Kunst betonte, sind Kraft, Urtumlichkeit, Einfachheit und Unbeholfenheit. Hinter diesen Eigenschaften versteckt sich das asthetische Ideal gegen Ende der Qing-Zeit, 'der Geist des Metalls und Steins' . Die diesen 'jinshiqi in sich tragenden, ungekunstelten Striche wiederum, die der gemeinsame Grundbestandteil der Malerei, Schrift- und Siegelschneidekunst Wu Changshuos sind, reflektieren den freien Schaffensgeist der Zhou und Han. Wu Changshuo wahlte sein kunstlerisches Geschmacksideal bewußt in der chinesischen altertumlichen, urwuchsigen Tradition. Es war, als wollte Wu Changshuo seine einzigartige Kultur und Kunst schutzen, als wollte er ein Gegengewicht gegen die fremde, aus dem Westen importierte Kultur schaffen. Fur Wu Changshuo war seine tief in der Tradition verwurzelte Kunst der Weg, die Unruhe seiner Zeit zu uberwinden, Auf diese Art Lind Weise konnte er den modemen Kunstlem die Quintessenz der niedergehenden traditionellen Literatenmalerei weiter vererben und die chinesische Malerei bis in die Gegenwart hinein pragen.