Dieser Aufsatz beginnt mit dem beruhmten Fall Barbarius Philippus (D. 1,14,3), der um 39 v. Chr. zum Prator gewahlt wurde, aber in Wirklichkeit ein geflohener Sklave war. Die romischen Juristen wie Pomponius und Ulpianus waren der Meinung, daβ die Amtsakte desjenigen, der selbst nicht wirksam zum Amtsinhaber bestellt werden konnte, dennoch wegen der utilitas und aus Grunden der humanitas als wirksam zu behandeln seien. Der Rechtsgedanke der Lex Barbarius und das aus ihr abgeleitete Rechtssprichwort communis error facit ius wurden im Laufe der Jahrhunderte fur die Losung zahlreicher Fallkonstellationen vom parochus putativus bis hin zum Usurpator fruchtbar gemacht, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in Italien ("funzionario di fatto"), in Frankreich ("fonctionnaire de fait") und im anglo-amerikanischen Rechtskreis ("de facto officer"). Dieser Beispiel veranschaulicht, wie aus einem einzigen Text des romischen Rechts unter dem Einfluβdes Kirchenrechts ein allgemeines Prinzip entwickelt worden ist, wie dieses Prinzip aus dem burgerlichen Recht ins offentliche Recht hinubergewachsen ist, und schlieβlich daβ dieses Prinzip heute uberhaupt weltweit gelten durfte. Der Aufsatz schildert danach den Grucksfall der "Florentina", der ein Zufall von welthistorischer Bedeutung war, daβ Justinians Digesten, das Herzstuck des Corpus iuris civilis, in einer einzigen und uberdies sehr guten Handschrift erhalten geblieben sind. Die Digesten enthielten den Stoff, der die Grundlage fur die Entstehung einer Rechtswissenschaft bilden konnte. Daran anschlieβend erlautert der Aufsatz die Wiedergeburt der Rechtswissenschaft durch die Glossatoren (ca. 1100-1300) und Die Kommentatoren (ca. 1300-1500). Im zweiten Kapitel des Aufsatzes werden die Vorgange der sog. Rezeption des romischen Rechts in der folgenden Reihenfolge naher erortert: (1) der territoriale Bereich, (2) der Gegenstand der Rezeption, (3) der Einfluβ der Kirche, (4) die Fruhrezeption (1200-1450), (5) die Hauptrezeption (1450-1600) und schliβlich (6) die Ursachen der Rezeption. Als Ursachen werden insbesondere die Zustande im Heiligen Romischen Reich Deutscher Nation, das romische Recht als Kaiserrecht sowie die sachlichen Vorzuge des romischen Rechts eingehend betrachtet. Im dritten und letzten Kapitel des Aufsatzes werden die weiteren Entwicklungen des romischen Rechts behandelt, und zwar durch (1) die humanistische Jurisprudenz in der Zeit von etwa 1500 bis 1650, (2) den Usus modernus pandectarum in der Zeitspanne von der Hauptrezeption bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, (3) die Naturrechtsschule in der Zeit von 1600 bis 1800, (4) die Naturrechtskodifikationen wie das preuβische ALR von 1794, die franzosische Code civil von 1804 und das osterreichische ABGB von 1811 und schlieβlich (5) die sog. "Nachrezeption", die von Savigny initiiert, durch die von ihm gegrundete "Historische Rechtsschule" fortgefuhrt und mit der deutschen Pandektistik vollentet worden war, sowie das darauf beruhende deutsche BGB von 1896. Zum Schluβ weist der Verfasser auf ein bemerkenswertes Phanomen hin, daβ die vielen historischen Phasen der Aneignung des romischen Rechts ihren Abschluβ meist in einem herausragenden Werk finden. Schon in der Antike findet nach den groβen sammelnden und sichtenden Kommentierungen des Paulus und des Ulpianus die klassische Jurisprudenz ihr Ende. Die Wiedergeburt des romischen Rechts im Mittelalter durch die Arbeit der Glossatoren findet ihren Abschluβ in der Glossa ordinaria des Accursius, die Schule der Kommentatoren in den groβen Kommentarwerken des Bartolus und des Baldus. Die Fruchte der humanistischen Jurisprudenz finden sich im Werk des Cujacius, die der franzosischen Rechtswissenschaft vor dem Code civil im Werk Pothiers. Die Naturrechtsschule wird abgeschlossen von den drei groβen Kodifikationen, und die Pandektistik schlieβlich durch Windscheids Lehrbuch des Pandektenrechts und das BGB, das nicht ganz zu Unrecht als der Usus modernissimus pandectarum bezeichnet worden ist. Vielleicht erklart sich dieses Phanomen der "books of authority", daβ jede Phase der Aneignung des romischen Rechts so viel an Kreativitat freigesetzt hat, daβ die Fulle nach ihrer Bandigung drangte. Daβ die romischen Quellen auch unsere Kreativitat und die kunftiger Generationen zu inspirieren vermogen, ist dem Gewiβheit, der sie kennt.